Mittwoch, 30. Dezember 2009

Essen auf Rädern - Große Runde.













Als studierter Zivi fahre ich täglich das Essen für ältere Leute in einem älteren Opel Agila aus. Für alle, die es interessiert: Hier ein exklusiver Einblick in die Kundschaft der Großen Runde.


1. Die etwas schwerhörige Frau S. im Ahornweg. Die Thermobox mit dem Essen sollte man im Winter auf den Rollator im Hausflur stellen, weil Frau S. nicht möchte, dass man mit seinen schneematschigen, nassen und/oder dreckigen Schuhen in ihrer Wohnung herumtapst. Im Sommer wird die Box auf ihren Wohnzimmertisch gestellt.


2. Herr B., ebenfalls im Ahornweg. An der rechten Hand hat er nur noch drei Finger, trotzdem nimmt er sich jedesmal die Alu-Assiette gleich aus der Thermobox, sodass man die leere Box wieder mitnehmen kann. Respekt!

3. Herr S. im Platanenring. Keine großartigen Besonderheiten.

4. Herr (oder Frau?) S. im Krummacherring. Dort schließt man die Haustür auf, sprintet in den vierten Stock und stellt das Essen ohne zu klingeln vor die Wohnungstür. Ich habe Herrn oder Frau S. noch nie zu Gesicht bekommen.

5. Frau B. im Krummacherring. Hat eine winzige Wohnung ohne erkennbare Küche im dritten Stock, trotzdem ist sie sehr freundlich. Die Box stellt man auf einen Stuhl neben der Badezimmertür. An Feiertagen gibt sie netterweise manchmal Trinkgeld.

6. Frau S. im Krummacherring. Ist ebenfalls sehr freundlich und isst meistens nur um das Wochenende herum mit. Von ihr bekommt man jedesmal einen Euro. Danke, Frau S.!

7. Frau M. im Krummacherring. Bei ihr nimmt man die Assiette aus der Thermobox und stellt sie Frau M. in ihre eigene Thermobox. Ebenso wie bei

8. Frau C. im Krummacherring, welche Tür an Tür mit eben erwähnter Frau M. wohnt.

9. Frau D. im Krummacherring. Hat eine wunderschöne, flauschige Katze mit riesigen Kulleraugen.

10. Frau G. im Krummacherring. Ist fast blind, sieht also nur noch Umrisse. Trotzdem wirkt sie noch sehr lebensfroh.

11. Herr S. im Krummacherring. Neigt zu gelegentlichen Wutausbrüchen, wirkt aber meistens sehr beherrscht und formell: "Guten Tag, mein Herr!" ist seine Standardbegrüßung.

12. Frau L. im Krummacherring. Haustür aufschließen und Thermobox vor die Wohnungstür stellen. Auch Frau L. habe ich noch nie gesehen.

13. Frau F. in der Karl-Marx-Straße. In den allermeisten Fällen öffnet ihr etwas schüchtern wirkender Sohn die Tür und nimmt die Box entgegen. An den Wochenenden gibt es stets 50 Cent Trinkgeld, ausgezahlt in zwei Zwanzig-Cent-Stücken und einem Zehn-Cent-Stück. Der Besuch bei F. dauert aufgrund oben beschriebener Schüchernheit selten länger als vier Sekunden.

14. Herr W. in der Karl-Marx-Straße. Mag keine Äpfel. Ansonsten keinerlei Besonderheiten.

15. Herr und Frau C. in der Tolstoiallee. Keine großartigen Besonderheiten.

16. Frau B. in der Tolstoiallee. Sieht immer fröhlich aus und lächelt lieb.

17. Frau W. im Puschkinweg. Ist sonntags in der Kirche und auch in der Woche manchmal nicht da. Doch weil

18. Frau T. im Pusckinweg im selben Haus wohnt, wird die Haustür trotzdem immer geöffnet. Bei Frau T. nimmt man die Assiette aus der Box und stellt sie ihr in die Küche. Dann beginnt man meist eine anregende Diskussion mit Frau T. über alle möglichen Themen, die sich auch gern über mehrere Minuten hinzieht. Aber soviel Zeit muss sein.

19. Frau K. im Puschkinweg. Auch sie ist in der Woche manchmal nicht im Hause, doch der Zivi besitzt sowohl einen Schlüssel für die Haus- als auch für die Wohnungstür. Die Box stellt man in der Küche auf die Arbeitsfläche (auch, wenn Frau K. da ist).

20. Frau W. im Puschkinweg ist seit längerer Zeit im Krankenhaus. Ansonsten keine großen Besonderheiten.

21. Frau J. im Puschkinweg ist die erste Kundin, bei der man die Assiette öffnen muss. Sie reist viel und ist auch noch relativ jung, trotzdem sind ihre Hände nicht mehr so recht zu gebrauchen, seit sie auf einer Ägypten-Reise erkrankt ist. Eine sehr freundliche Frau. Gibt an manchen Feiertagen fünf Euro Trinkgeld.

22. Frau F. im Puschkinweg. Gibt ebenfalls ab und zu fünf Euro und ist nett und lieb. Das sage ich jetzt aber nicht nur, weil sie fünf Euro gibt. Das hab ich auch bei den anderen Leuten nicht nur des Geldes wegen gesagt.

23. Frau E. in der Tolstoiallee. Klingeln, Haustür und Wohnungstür aufschließen, Box in die Küche stellen, Frau E. im Wohnzimmer grüßen und die Residenz E. wieder verlassen.

24. Herr M. in der Andreasstraße wohnt im betreuten Wohnen. Ansonsten nix besonderes.

25. Herr F. in der Andreasstraße. Dito.

26. Frau W. in der Andreasstraße. Klingeln und warten, bis ihr Sohn die Tür öffnet... wenn dies nicht geschieht, wird die Wohnungstür kurzerhand aufgeschlossen. Das Essen wird auf den Wohnzimmertisch gestellt.

27. Frau L. in der Gröbziger Straße ist unsere älteste Kundin und auch mit 96 noch gut drauf. Wenn man in ihrem dritten Stock angestürmt kommt, hat sie meistens schon die halbe Treppe zwischen Etage drei und zwei zurückgelegt. Sie wünscht einem immer eine gute Fahrt und ich glaube, das ist der einzige Grund, warum ich meine Runde bis jetzt immer unfallfrei absolvieren konnte.

28. Frau S. in der Gröbziger Straße ist noch relativ jung und bekommt nur am Wochenende.

29. Frau W. in der Gröbziger Straße ist seit Ewigkeiten im Krankenhaus. Genauer gesagt ist sie dort seit der ersten Woche, in der sie von mir Essen bekommen hat. Ob es da Zusammenhänge gibt?

30. Frau K. in der August-Bebel-Straße. Erst das klemmende Gartentor aufstoßen, dann klingeln und ein wenig warten, bis Frau K. die Tür öffnet. Nun wird die Box auf ihren Rollator gestellt.

31. Herr H. in der Thomas-Müntzer-Straße. Ich denke, es ist seine Tochter, die einem immer das Essen vom Erdgeschossfenster aus entgegennimmt. Herrn H. selbst habe ich noch nie gesehen.

32. Frau I. am Breitscheidplatz. Sie drückt den Türöffner schon, bevor man klingeln konnte. Hat für mich einen leichten norddeutschen Akzent. Frau I. muss man nur die Assiette in die Hand drücken. Ihr gegenüber wohnt gleich

33. Frau J. am Breitscheidplatz. Der Schlüssel steckt in der Wohnungstür und Anklopfen nützt einem nicht wirklich etwas, weil Frau J. extrem schwerhörig ist. Trotz ihres Alters ist sie aber weiterhin sehr fit im Kopf. Das Essen wird auf den Küchentisch gestellt. Es würde gelingen, die Wohnung unbemerkt zu verlassen, auch wenn Frau J. selbst am Küchentisch sitzt. Sie schaut aber meistens aus dem Fenster und bemerkt einen erst, wenn man "Hallooo!" In höchster Lautstärke brüllt. Die Antwort kommt genauso laut zurück. Ich mag Frau J.!

34. Herr M. in der Friedrich-Engels-Straße ist der erste Kunde, der in einem Einfamilienhaus wohnt. Am Gartenzaun klingeln und die Box auf die Veranda stellen. Meistens bekommt man Herrn M. nicht zu Gesicht, nur im Sommer ist er ab und zu im Garten und grüßt.

35. Frau R. in der Thomas-Mann-Straße. Einer der charakteristischsten Kunden. Sie geht bereits etwas gebückt und scheint auch leicht schwerhörig zu sein. Ab und zu bittet sie mich, ihr einen Rechnungsbrief zu erklären, woraufhin ich sie immer an die Nachbarn verweise. Ein Essen ohne Kartoffelbrei ist für sie ein schlechtes Essen. Manchmal muss ich für sie den Essenplan ankreuzen, weil sie dazu keine Lust hat. Auch den Müllsack habe ich schon zweimal zur Tonne gebracht, denn "der is' so schwer!" Bei Frau R. muss man übrigens die Assiette öffnen. Und jedesmal, wenn man sich anschickt, die Wohnung wieder zu verlassen, ruft Frau R. einem ein "(Ich) Mache zu!" hinterher. Das bezieht sie natürlich auf die Wohnungstür. Danke, Frau R., langsam weiß ich es selbst.

36. Frau B. im Mühlenweg, ebenfalls mit Einfamilienhaus. Am Tor klingeln, durch den Garten gehen, sich vom roten Kater Rudi um die Beine streichen lassen und schließlich die Box auf einen Hocker im Flur stellen. Danach gehen und hören "Nein, Rudi, das ist noch nicht für dich". Weiterfahren.

37. Frau K. in der Dessauer Straße. Dort klingelt man an der Haustür, geht auf dem Gehweg ein paar Schritte zurück und wartet, bis Frau K. den Schlüssel aus dem Fenster herunterwirft. Dann schließt man auf, begibt sich nach oben und öffnet die Assiette.

38. Herr W. in der Dessauer Straße hat jedesmal ein Lächeln auf den Lippen. Man gibt ihm sein Essen wie bei Herrn H. durch das Erdgeschossfenster. Sein "Machs gut, Junge!" klingt immer sehr nett. Am Sonntag gibt es einen Euro.

39. Bei Herrn L. in der Dessauer Straße wird das Essen ebenfalls durchs Fenster gereicht und man hält noch einen kleinen, amüsanten Plausch über das Wetter oder die Mickrigkeit des Nachtisches. Herrn L. verlässt man immer lachend.

40. Frau K. im betreuten Wohnen am Schiffersteg. Assiette öffnen, ansonsten nix besonderes.

41. Frau W. im betreuten Wohnen am Schiffersteg. Assiette ebenfalls öffnen. Frau W. ist ein Liebhabtyp, macht Witze und ist gut drauf. Es gibt immer vier Nimm-2-Bonbons als Belohnung.

42. Frau L. in der Hegebreite lebt in einem Einfamilienhaus. Gartentor öffnen, an der Tür klingeln und Box überreichen.

43. Frau H. in der Neuen Straße gehört zu meinen Lieblingskundinnen. Im Hausflur duftet es irgendwie lecker nach Chlor und Frau H. selbst ist einfach immer am Lachen :-) So verlässt man sie, genau wie Herrn L., lachend.

44. Herr und Frau M. in der Neuen Straße. Keine großen Besonderheiten.

45. Frau F. in der Liebknechtstraße. Hier wird das Essen wieder durch das Fenster gereicht.

46. Frau K. in der Langen Straße. Keine großen Besonderheiten.

47. Frau L. in der Wilhelmsstraße ist meine Mutter und lässt sich im Büro von mir beliefern, damit sie (halbwegs) anständiges Mittagessen bekommt. Die Box wird auf die "Bar" im Hauptraum gestellt und man führt noch ein familiäres Gespräch. Also nicht man, sondern ich.

48. Frau B. im betreuten Wohnen in der Wilhelmsstraße. Wohnt dort im vierten Stock (aber es gibt ja einen Aufzug). Nichts besonderes.

49. Frau P. im betreuten Wohnen in der Wilhelmsstraße. Wohnt dort im dritten Stock. An die angelehnte Tür klopfen, aufmachen und die Assiette öffnen. Dann ein "Ooh" und "Aah" wegen dem köstlichen Aussehen der Speise sowie zwei Bonbons in Empfang nehmen.

50. Herr M. im betreuten Wohnen in der Wilhelmsstraße. Wohnt dort im dritten Stock. Nichts besonderes.

51. Frau B. im betreuten Wohnen in der Wilhelmsstraße. Wohnt dort im zweiten Stock. An die angelehnte Tür klopfen und die Assiette auf den Tisch rechts neben der Tür stellen. Frau B. sitzt immer am Radio in der gegenüberliegenden Ecke. Manchmal gibt sie Trinkgeld.

52. Frau S. im betreuten Wohnen in der Wilhelmsstraße. Wohnt dort im ersten Stock. Assiette auf den Rollator im Hausflur stellen, klingeln und zu

53. Herrn B. im betreuten Wohnen in der Wilhelmsstraße gehen. Er wohnt im selben Stockwerk. Assiette auf den Hocker im Hausflur stellen, klingeln, Frau S. (welche inzwischen die Tür geöffnet hat) ein "Mahlzeit" entgegenrufen und zu

54. Frau B. im betreuten Wohnen in der Wilhelmsstraße gehen. Sie wohnt im selben Stock und steht immer schon vor ihrer Tür, um die Assiette in Empfang zu nehmen. Auf dem Rückweg durch den Hausflur Herrn B. "Mahlzeit" entgegenrufen.

55. Frau D. im Kugelweg. An der Haustür klingeln, die Tür öffnen (hat eine Klinke) und die Box auf die Treppe stellen.

56. Frau P. in der Heinrich-Zille-Straße. An der Haustür klingeln und die Assiette dann unter den Augen von Frau P. höchstpersönlich aus der Box nehmen und auf die Arbeitsfläche in der Küche stellen. Frau P. ist nett, deswegen bekommt sie die Desserts, die zuviel eingepackt wurden. Wir nähern uns nämlich dem Ende der Runde

57. Frau G. in der Heinrich-Zille-Straße. Hatte bis vor wenigen Tagen einen sehr lauten Schäferhund, doch der ist verstorben und so bleibt nur noch das Platzieren der Box auf dem Stuhl im Flur erwähnenswert.

58. Sparkasse, Hallesche Straße. Die Box zum Schalter bringen.

59. Autolackierung Wengorz... Hallesche Landstraße? Die Box in der Kantine abgeben.

Ende.

Natürlich passiert es höchst selten, dass alle diese Kunden an einem Tag Essen bestellt haben, sodass ich meistens so ungefähr 50 Essen ausfahre. Mögen diese Informationen künftigen Zivildienstleistenden im AWO Seniorenzentrum Zepziger Weg nützen.

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